Experimentelle Archäologie

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Die Geschichte der Entwicklung der Wissenschaft, die sich mit dem Ansammeln von Quellen, also materiellen Überbleibseln aus Ausgrabungsarbeiten, und deren Klassifizierung nach gängigen Vorschriften beschäftigt, ist verhältnismäßig kurz. Die Anfänge ihrer Entwicklung reichen bis zum 18. Jahrhundert zurück; eine Zeit, in der diese Disziplin nur den Reichen und Mächtigen zugänglich war. Sie stellte sich damals als eine Möglichkeit da, schnell Karriere zu machen, berühmt zu werden und viel Geld zu verdienen. Jedoch hatte sie damals vor allem den Charakter einer Sammelleidenschaft, weniger den einer Wissenschaft.

Es waren von hier an noch einhundertfünfzig Jahre bis zur Herausbildung einer strikt wissenschaftlichen Archäologie mit eigenen Methoden. Die Wissenschaft sollte beginnen, sich selbst Fragen zu stellen, auf die sie auch Antworten suchen wollte. Jahrelang war die Archäologie "hermetisch" sie beschäftige sich nur mit der Anhäufung von Quellen sowie ihrer Klassifizierung und Beschreibung. Sie entwickelte keine breitere Perspektive, die nötig gewesen wäre, um Verständnis auch in der sie umgebenden Welt außerhalb der Wissenschaft zu wecken. Sie war eine Wissenschaft um der Wissenschaft willen und nicht "für die Menschen" im weiteren Sinne des Wortes.

Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts begannen Wissenschaftsinstitute in Großbritannien mit der Ausbildung der Fundamente einer "lebendigen und erkennbaren Archäologie" – der experimentellen Archäologie. Als erster unternahm F. C. J. Spurrell bedeutende experimentelle Forschungen. Er führte eine Serie von experimentellen Arbeiten durch, die das Ernten von Getreide sowie Holz, Knochen und Geweihbearbeitung umfassten. Als Vorreiter der experimentell - traseologischen Methode muss man dagegen S. A. Siemionowa erwähnen, ein großer russischer Archäologe, dessen Bedeutung von vielen seiner Zeitgenossen jedoch nicht erkannt wurde. In Polen wurde bis in die Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts experimentelle Archäologie fast überhaupt nicht betrieben. "Die Pioniere dieses Wissenszweigs waren die bereits verstorbenen Professoren W. Hołubowicz und Z. A. Rajewski".

Der oben angeführte Aspekt der experimentellen Forschungen veränderte anfangs nur auf minimale Art und Weise die Archäologie, die im Großen und Ganzen schwer verständlich für die Mehrzahl der einfachen Leute ist, die nicht täglich Kontakt mit ihr haben. Die experimentelle Archäologie blieb lange Zeit weiterhin einer "leblosen" Typologie verhaftet. Zeugnisse vergangener Kulturen wurden oftmals "geschlechtslos" und auf eine trockene Weise dargestellt, die die Phantasie der Menschen, die nur über begrenztes wissenschaftliches Fachwissen verfügen, kaum anregen konnte.

Mit der Zeit erkannte die Mehrheit der westlichen archäologischen Wissenschaftsinstitute, dass der Wirkungsbereich einer solchen Archäologie, also einer Wissenschaft, die ausschließlich für Vereinzelte zugänglich ist, begrenzt ist. Es wurde langsam verstanden, dass eine ansprechende Darstellung der Schönheit vergangener Kulturen den Wissensdurst, der in jedem Menschen wohnt, gleichzeitig wecken und stillen würde. Breite Akzeptanz, der Wunsch zum Kennen lernen und mehr Verständnis und Vorwissen "von außerhalb" erweckten zu einem großen Teil die Archäologie aus ihrem Dämmerschlaf; dennoch sollte man auch weiterhin daran arbeiten, entsprechende Bedingungen und Hilfestellungen für Außenstehende zu schaffen, die die Archäologie kennen lernen wollen.

Geringes Interesse an der Herstellung von urzeitlichen Rekonstruktionen, besonders von Kleidung aus der späten Epoche der Jungsteinzeit, veranlasste mich zur Herstellung von urzeitlicher Herbst- und Winterkleidung samt Ausstattung, wie sie typisch für die Gegenden des damaligen Mitteleuropas war. Die Idee der Rekonstruktion von Kleidung vereinigt in sich mehrere Aspekte, vor allem den Versuch einer Belebung und Bewerbung der Archäologie in der Gesellschaft im weiten Sinne. Nicht vergessen darf man hierbei auch den stricte wissenschaftlichen Aspekt in experimentell - traseologischer Hinsicht.

Das Bauschema der Rekonstruktionen ist zum einem großen Teil angelehnt an den einzigartigen Fund aus dem Ötztal in den Alpen – den Mann aus dem Eis oder Ötzi, wie er oft genannt wird. Ein Fund wie der des Ötzi gehört zur absoluten Seltenheit und leider kann man ihn nicht als ideales Beispiel für die Konstruktion einer neolithischen Kleidung, wie sie auf dem Terrain des heutigen Polens verwendet wurde, heranziehen. Der Fund aus den Alpen kann einzig und allein das fundamentum und ein Nährboden für unsere Vorstellungen sein.


POZI während der Arbeit an einer seiner Hütten

Ich war also zu tiefgreifenden Überlegungen hinsichtlich der Herstellung einer Rekonstruktion von urzeitlicher Kleidung gezwungen, die ich auf der Grundlage der wenigen erhaltenen und zugänglichen Überbleibseln des Neolithikums herstellen wollte. Span, Kratzer, Pfrieme, Nadeln und vieles mehr weisen eindeutig auf die Herstellung von Kleidung aus Leder hin; Gewichte zum Weben hingegen erlauben die Schlussfolgerung, dass auch damals schon gewebt und genäht wurde.

Man darf dabei nicht vergessen, dass sogar Materialien wie Holz, Rinde und junge Pflanzensprösslinge ebenfalls manchmal benutzt wurden. Leider würde ausschließlich solch nüchternes und vernünftige Überlegen "wie es damals wohl gewesen sei" der Wissenschaft nichts Neues bringen. Um glaubhaft zu sein, sollte man seine Ideen und Vermutungen einfach umsetzen, um sich langsam dem Ziel der Herstellung eines Kleidungsstücks anzunähern, wobei man natürlich ausschließlich die Rekonstruktion von neolithischen Werkzeugen und Techniken verwenden darf, die höchstwahrscheinlich vor ungefähr 5000 Jahren angewandt wurden.

Man muss betonen, dass die Mehrheit der gegenwärtig existierenden archäologischen Rekonstruktionen sich einzig auf die gewöhnlichen rationalen Analysen von Forschern stützt; Überlegungen, die nie in natürlicher Umgebung überprüft und getestet wurden. Genau diese Begrenzung, "die fehlende Überprüfung in der Natur", ist die Ursache dafür, dass wir kein großes Vertrauen in die Mehrheit der urzeitlichen Kleidungsrekonstruktionen haben können, die man in der Fachliteratur oder auf Ausstellungen antrifft. Einzig entsprechend getestete Rekonstruktionen können als wirklich ernsthafter Versuch der Annäherung an die Wahrheit der Vergangenheit betrachtet werden. Meine Rekonstruktion ist eben eine solcher "ernsthafter" Versuch.


Konnten diese Verstärkungen der Hosenbeine wirklich bequem sein? Wurden solche Beinbedeckungen rekonstruiert und in natürlicher Umgebung getestet? Die Antwort auf diese Frage ist eindeutig


Eine ausdauernde und bequeme Rekonstruktion, die die Blutgefässse und Sehnen nicht abquetscht. In natürlicher Umgebung ausprobiert (Vorderseite)


Verstärkung von Hosenbeinen aus Tierfell (Seitenansicht und Rückseite)


Zusätzliche Verstärkung und Isolierung der unteren Fussteile – Hasenfell

J. Coles schlägt einige Grundannahmen im Zusammenhang mit einem solchen Experiment vor:
1. Zur Herstellung der Rekonstruktion sollten ausschließlich Rohmaterialien verwendet werden, die auch den alten Zivilisationen in der Vergangenheit zugänglich waren.
2. Eine entsprechende Vorbereitung (Training) unter Anwendung von Methoden, die so auch in der Urzeit angewandt wurden, sollte durchgeführt werden.
3. Keinen Einfluss auf das Ergebnis des Experiments dürfen zeitgenössische Methoden und Technologien haben.
4. Vor Beginn des Experiments sollte man sich selbst ausführlich Fragen zu dessen Sinn und Ziel stellen.
5. Die Wiederholbarkeit des Experiments muss gegeben sein.
6. Alternative Methoden des Experimentierens sollten erwogen werden.
7. Am Ende des Experimentes müssen die Resultate, Beobachtungen und Schlussfolgerungen festgehalten werden
8. Auf jeden Fall sollte man mit einer kritischen Einstellung das Experiment beginnen.

Die Vorschläge von J. Coles im Kopf, machte ich mich schließlich an die Herstellung der Kleidung, nicht jedoch ohne vorher entsprechend die notwendigen Rekonstruktionen urzeitlicher Werkzeuge angefertigt zu haben, die gegenwärtig die glaubhaftesten Zeugnisse meiner experimentell – traseologischen Arbeiten sind.

Allein zur Herstellung der Kleidung benötigte ich vier Felle von ausgewachsenen Hirschen, zwei von Schafen und eines vom Fuchs und außerdem ein Stück Leinen (2 x 1,5 m). Zur Fertigung weiterer Gegenstände (also Rucksack und Materatze) und dem Zuschnitt einer obligatorischen Menge von Riemen war es nötig, zwei weitere Hirschfelle und eine Viehhaut zu verbrauchen. Zur Zusammenstellung der rekonstruierten Kleidung gehören insgesamt die folgenden Elemente:
- eine Pelzmütze mit Verzierung;
- ein Hemd;
- ledernes Gefäss für Wasser;
- ein "Schal";
- Armteile;
- Schutzwindel;
- Hosenbeine;
- Schuhe;
- Umhang;



Aus tierischer Haut geschnittene Lederfransen als Schmuckelement einer Pelzjacke


Rekonstruktion von Sommerschuhen – Tierhaut imprägniert mit Teer und einer Einlage aus trockenem Heu


Rekonstruktion von Winterschuhen – Tierhaut imprägniert mit Teer und einer Einlage aus trockenem Heu

Zusätzliche Einzelteile der beschriebenen neolithischen Rekonstruktion :
- Materatze;
- Rucksack;
- Schleppnetze;
- Geschirr und Werkzeuge.



Rekonstruktion eines Bügelrucksacks


Werkzeugrekonstruktionen


Ein in ein Geweihstück eingebetteter Flintsteinspan – ein neolithisches Messer zum Schneiden von Wildtierfell und – haut

Die oben beschriebene Rekonstruktion ist ein bisher einmaliges Beispiel dafür, dass eine Person mit viel Leidenschaft, aber wenigen (materiellen) Möglichkeiten auf sehr fruchtbare Art und Weise die Archäologie aus ihrem Dämmerschlaf erwecken, beleben und – was das Allerwichtigste ist – unter den "gewöhnlichen" Leuten bekannt machen kann.

Die professionelle Herstellung von Kleidung, deren Prüfung unter realen Bedingungen, das Ziehen von Schlussfolgerungen sowie die spätere wissenschaftliche Auswertung der Ergebnisse tragen gewiss zu einem Prozess des "Aufwachens aus dem Dämmerschlaf" in der Archäologie und unter den Wissenschaftlern selbst bei. Durch eine kunstvolle Darstellung der Spezifika des Menschen, wie er vor einigen tausend Jahren existiert hat, in diesem Fall in Gestalt von POZI und der Bildung eines bestimmten greifbaren urzeitlichen Hintergrundes, können wir auf einzigartige Art und Weise die "graue" alltägliche Archäologie mit neuem Leben füllen. Durch eine Öffnung gegenüber den Medien, genauer den Massenmedien in Gestalt von Zeitung, Radio und Fernsehen, sind wir im Stande, die Archäologie mitsamt ihrer unergründlichen Geheimnisse und einzigartigen Schönheit zu "verkaufen" und auf diese Weise allgemein zugänglich für einen weiteren Empfängerkreis zu machen, der die Anfänge seiner eigenen kulturellen Identität sucht.

Den einzigartigen "Wissensdurst" unser Gesellschaft sowie den durchaus vorhandenen Wunsch, die Archäologie und die Schönheit, die in ihr steckt kennen zu lernen, konnte ich während des von mir durchgeführten Experiments, einer Wanderung zu Fuß "auf alten Wegen", bekleidet mit den oben beschriebenen Rekonstruktionen, selbst bemerken. Alle Leute, denen ich begegnete, zeigten immenses Interesse und nicht endende Neugier. Der Kontakt mit POZI - "dem Mann aus einer Zeit von vor tausend Jahren", versetzte sie in tiefe Begeisterung und ermunterte sie zum Kennen lernen der Vergangenheit und der Schönheit vergangener Kulturen, die in ihrem eigenen Erdboden versteckt sind.
Die Situation, in der ich mich damals wiedergefunden habe, bestärkte mich in der Überzeugung, dass der Archäologie in unserem Land noch ein langer und schwieriger Weg bevorsteht; der "Weg der Befriedigung des Wissensdurstes"


Geflecht aus junger Lindenbaumrinde – diese ist stabil und überall auffindbar

Die Durchführung von Experimenten wie meines erlaubt die Aufstellung nachprüfbarer Hypothesen und gibt die Möglichkeit, eine Annäherung an den urzeitlichen Menschen zu erreichen und sich materielle Ergebnisse der eigenen Forschung "vorzustellen".
Leider kann man ausschließlich auf ihrer Grundlage nicht behaupten, dass gefundene Elemente und Überreste auf diese oder andere Weise hergestellt wurde. Dies wäre nicht "wissenschaftlich". Dennoch ermöglicht die Durchführung solcher Forschungen "Laien" und Archäologen im bedeutenden Maße, sich an den einstigen Alltag vor der industriellen Revolution anzunähern. Sie erlauben uns, in die geheimnisvolle Welt vor tausend Jahren einzutreten – in die "wilde" Welt unser Vorfahren.



Rekonstruktion einer Schleuder


Kräutermix - unverzichtbar bei Erkältung


Walnüsse stillen schnell den kleinen Hunger


Bei Problemen mit dem Verdauunapparat helfen am besten getrocknete Beeren; sollten diese nicht verfügbar sein kann man auch Holzkohle essen


Honig – urzeitliche Medizin und gleichzeitig Süssigkeit


 
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